Ängste ernst nehmen - respektieren - überwinden

4. März 2022

Welche Rolle spielt Angst, um Konflikte zwischen Menschen und Wölfen zu verringern?

Thorsten Gieser und Erica von Essen argumentieren in Ihrem Essay, dass Angst eine wichtiger Parameter ist, Konflikte um die Verbreitung von Wölfen zu verstehen. Indem sie eine andere Betrachtungsweise auf dieses Thema einnehmen, verstehen Sie Koexistenz als etwas affektiv eingefärbtes. Als affektiv bezeichnet man Handlungen, die emotional und nicht rational gesteuert werden. Koexistenz kann sich hierbei in etwas „friedlichem“ oder aber in etwas „ängstlichem“ ausdrücken.

Woher kommt aber Angst, von was wird sie beeinflusst und haben auch Wölfe Angst?

In der Verhaltensbiologie wird das Konzept der Ökologie der Angst genutzt, um Effekte von Raubtieren bei der Regulierung ökologischer Systeme zu beschreiben. Bei dieser sogenannten Angst-Hypothese wird davon ausgegangen, dass die bloße Anwesenheit eines Raubtieres Auswirkungen auf die Beutetiere der Umgebung hat. Hier geht man von einem Verständnis der Angst als Top-Down, also von Raubtier zu Beutetier aus. Jedoch sind die Richtungen, wie Ängste wirken, nicht ein-  sondern mehrdimensional. So können Raubtiere ebenfalls Opfer von Angst werden, wenn Gegenangriffe von Beutetieren (z. B. durch Elche) erfolgen. Die Kommunikation von Angst erfolgt dabei zwischen zwei Arten in beide Richtungen. Wölfe können auch dann von Angst betroffen sein,  wenn sie Straßen und andere von Menschen geschaffene Strukturen in der Landschaft meiden. Erweitert man also das Konzept der Ökologie der Angst auf die gesamte Umwelt, in der Lebewesen miteinander agieren, zeigen sich auch unterschiedliche Wirkrichtungen von Angst; so etwa vom menschlichen Raubtier zur tierischen Beute oder vom tierischen Raubtier (Wolf) zum Menschen (hier muss Beute im weiteren Sinne betrachtet werden). Besonders die letzte Dimension, also die Möglichkeit, dass es zu Übergriffen auf Menschen kommen könnte, ruft Unsicherheit hervor. Jedoch gibt es seit der Rückkehr der Wölfe keinen Vorfall, bei dem ein Mensch durch Wölfe zu Schaden gekommen wäre (Linnell et al. 2002). Des Weiteren wird oft argumentiert, das Wölfe Orte in Landschaften der Angst verwandeln (Laundre et al. 2001) und ebensolche Auswirkungen spiegeln sich teilweise im veränderten Verhalten von Nutztieren wider. So konnte gezeigt werden, das Haustiere, ähnlich wie wilde Beutetiere, ihr Verhalten und ihre Bewegungen, bedingt durch die Rückkehr von Raubtieren, ändern.

Was bedeuten nun aber Angst als affektiver Zustand?

Die Autoren bezeichnen Angst als einen multidimensionalen dynamischen Zustand. Das heißt, das sich Beutetiere nicht in einem ständigen Zustand der Angst befinden, sondern in einer Reihe affektiver Zustände von Vorsicht und Wachsamkeit über Besorgnis bis hin zu Angst. Übertragen auf den Menschen und dessen Ängste vor Wölfen, wird gezeigt, dass besonders das Gefühl der Erwartung, dass etwas passieren könnte, ein starkes Substrat für Angst ist. So können Angst- und Stresszustände, die im Zusammenhang mit dem Verlust von Lebensgrundlagen für Bewohner in Wolfsgebieten entstehen, von Dauer sein. Jedoch treffen nur wenige Bewohner physisch auf einen Wolf, aber bereits das Antreffen von Wolfsindizien (z.B. Wolfsspuren, Kot) kann Angstzustände hervorrufen (Untersuchungen in Schweden von Sjölander-Lindqvist et al. 2021, in Kürze erscheinend). Bei Landwirten, die Wolfsangriffe auf ihre Nutztiere erfahren haben, kann dies in einem allgemeinem Gefühl der Angst umschlagen, das solche Ereignisse wieder sattfinden könnten. Verstärkt können solche Angstgefühle u. a. durch Erzählungen von Raubtierinteraktionen oder ‚furchteinflößenden‘ Situationen, die sich wiederum auf kollektiver Ebene durch Proteste gegen Großraubtiere oder Nachtwachen zum Schutz von Nutztieren materialisieren und somit zu einer erhöhten, kulturellen Angst verdichten. Aber auch hier wirkt die Mehrdimensionalität von Angst, denn eine verallgemeinerte Angst kann sich umgekehrt in eine konkrete individuelle Angst verwandeln. So wurde in Studien gezeigt, dass Jäger vermehrt Munition mit sich tragen, wenn Sie in Wolfsgebieten unterwegs sind (von Essen et al. 2018), denn auch die Angst der Jägergemeinschaft vor Wölfen lässt den einzelnen Jäger wachsamer und ängstlicher agieren. Über den Jagdhund kann Angst und Schrecken wahrgenommen werden, wenn dieser sich aufgeregt durch ein Wolfsgebiet bewegt. Auch Nutztiere nehmen diese Rolle des Vermittlers von Angst ein, wenn Landwirte beobachten, wie die Tiere sich durch/nach Begegnungen mit Wölfen unruhig verhalten und das Gefühl der Unsicherheit ihrer Tiere verinnerlichen (Sjölander-Lindqvist et al. 2021, in Kürze erscheinend). Angst kann damit zwischen den Arten verstärkt werden.  

Auch der Faktor Zeit spielt eine wichtige Rolle, wie sich Ängste über eine lange Zeitskala aufbauen können und noch die heutigen Generationen prägt. So entstammen unsere Ängste vor Wölfen aus einer Zeit, in der Wölfe eine existenzielle Bedrohung für unser Leben darstellten.

Abschließend betonen die Autoren, das Angst nicht ein Hindernis ist, um Konflikte zu verringern, sondern als Dimension der Koexistenz anerkannt werden soll. Die nuancierte Betrachtungsweise von Angst, die mit dem Wolf besonders in ländlichen Regionen einhergeht, kann hilfreich sein, Managementinstrumente zu entwickeln, um den artikulierten Ängsten der Einwohner zu begegnen (u.a. Sorge um den Schutz von Nutztieren). Angst wirkt auf verschiedenen Ebenen, vom Individuum über die Art bis zur Landschaft.

Laundre J.W., Hernandez L., Altendorf K.B. (2001) Wolves, elk, and bison: reestablishing the ‘landscape of fear’ in Yellowstone National Park, U.S.A. Canadian Journal of Zoology (79): 1401-1409.

Linnell J.D.C. et al (2002) The fear of wolves: A review of wolf attacks on humans. Report. Trondheim: NINA (Norsk institutt for naturforskning).

Sjölander-Linqvist A., Larsson S., Bennett J. (2021, forthcoming) Att leva nära stora rovdjur; Perpektiv på socioekonomiska och psykosociala konsekvenser. Report. Bromma: Swedish Environmental Protection Authority.

Von Essen E., Hansen H.P., Peterson M.N., Peterson T.R. (2018) Discourses on illegal hunting in Sweden: the meaning of silence and resistance AU – Von Essen, Erica. Environmental Sociology (4): 370-380.

Geschrieben von Sophia Voigtländer-Schnabel

Originaltext: Gieser T., Von Essen E. (2021) Wolves, ecologies of fear, and the affective challenges of coexistence. In: https://www.societyandspace.org/articles/wolves-ecologies-of-fear.

Dr. Thorsten Gieser vom Institut für Kulturwissenschaften an der Universität Koblenz untersucht die vielschichtigen Reaktionen des Menschen auf den Wolf. Einen interessanten Beitrag über sein Tätigkeitsfeld findet man u. a. auf folgender Webseite: Wolfwärts - Kultur ist Handlung (uni-koblenz.de)

Weitere interessante Links: Leben in der Angstgesellschaft

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